Sprachentwicklung

Die Sprachentwicklung ist ein wichtiger Teil der kindlichen geistigen Entwicklung. In wenigen Jahren entwickeln hier Kinder die Fähigkeit lautsprachlich und nicht-lautsprachlich zu kommunizieren in mindestens einer Sprache. Diese Entwicklung verläuft in Phasen und umfasst das Sprachverständnis, den Wortschatz, die Grammatik und das Lautsytem der jeweiligen Sprache. Voraussetzung ist eine normale Hirnreifung, eine geistige, sozioemotionale und motorische Entwicklung und eine gesunde Wahrnehmungsfähigkeit. Entscheidend ist besonders ein kindgerechtes, vielfältiges sprachliches Angebot durch die wichtigsten Bezugspersonen des Kindes – die Eltern.

Pränatale (vorgeburtliche) Sprachentwicklung

Der Gehörsinn ist schon sehr früh im Mutterleib ausgebildet. So kann das Kind tiefe Frequenzen aus der Umgebung wahrnehmen und die Stimme der Mutter besonders gut hören. Direkt nach der Geburt erkennen die Kinder die Stimme ihrer Mutter und können ihre Muttersprache von einer fremden Sprache unterscheiden. Sie erkennen Geschichten oder Melodien, die sie oft während der Schwangerschaft gehört haben.

Zwei besonders wichtige Zeitfenster in der Sprachentwicklung

Im ersten Zeitfenster („kritische Periode“ zwischen dem 1-8 Lebensmonat) entwickelt sich die Hörwahrnehmung weiter. Das Gehirn verbessert seine Fähigkeit die Signale der Ohren wahrzunehmen und zu verarbeiten. In dieser Phase können gehörlose Säuglinge, die mit Hörgeräten versorgt werden und eine gute sprachliche Anregung erhalten, nach einigen Monaten eine normale Hörfähigkeit entwickeln. Wird die Gehörlosigkeit eines Säuglings erst nach der kritischen Periode entdeckt und das Kind erst nach den ersten 8 Lebensmonaten mit Hörgeräten versorgt, gelingt diese Entwicklung nicht mehr. Auch die Differenzierungsfähigkeit für Sprachlaute wird in dieser Phase entwickelt. Es findet eine Spezialisierung auf die Laute der Muttersprache statt. Eine frühe Diagnostik von Hörminderung ist also entscheidend!

Im  zweiten Zeitfenster („sensitive Periode“ 9 Lebensmonat bis 3.5 Jahre) findet die weitere Reifung der Hörwahrnehmung und die Sprachentwicklung statt. Das Gehirn und seine auditiven Verarbeitungsfähigkeiten wachsen und die neuronale Vernetzung  verstärkt sich. Hierfür ist ein vielfältiges Angebot an Sinneseindrücken erforderlich, die ständige neuronale Anpassungen auslösen und so die Wahrnehmungsentwicklung und damit die Sprachentwicklung vorantreiben. Hört das Kind nicht, oder erhält es keine sprachliche Anregung wird diese Reifung verzögert. Bis zum Alter von etwa 3,5 Jahren ist das Gehirn hier besonders wandelbar. Ab dem 7. Lebensjahr nimmt diese Fähigkeit des Gehirns stark ab. Die frühe Versorgung mit Hörgeräten bei Hörminderung und eine gute sprachliche Anregung ist also für die Entwicklung der Hörwahrnehmung und der Sprachentwicklung entscheidend!

Die Phasen der  kindlichen Sprachentwicklung

1.-6. Monat – erste Lallphase

Das Kind schreit und lernt sein Schreien zu verändern. Müdigkeitsschreien klingt anders als Hungergeschrei, und auch Schmerz wird durch eine andere Art des Schreiens ausgedrückt. Das Kind entwickelt Blickkontakt und kann diesen auch schon eine Weile halten. Das Kind kann Stimmen und Sprachmelodien unterscheiden. Etwa mit 2 Monaten beginnt das Kind erste Vokallaute zu formen. Dieses erste Lallen ist bei Kindern aller Sprachen zu  beobachten, auch bei gehörlosen Kindern. Diese Laute entstehen zunächst zufällig durch Muskelbewegungen in Mund, Hals und Kehlkopf. Diese können aber mit der Zeit immer besser kontrolliert werden, sodass immer mehr Laute und Geräusche erzeugt werden. Auch versteht das Kind immer besser die Wortmelodien, den Stimmklang und die Mimik der Eltern zu deuten. Worte, die häufig verwendet werden, erkennt es.

7. -12. Monat – zweite Lallphase

Die Kontrollfähigkeit der Mundmuskulatur wird immer besser. Das Kind kann nun Konsonanten bilden. Es bildet nun gezielter Laute der Muttersprache. Aus den Vokalen und Konsonanten werden erste Silbenketten gebildet, die noch zufällig aneinander gereiht werden.  Das Kind hört intensiver zu, spielt mit seiner Sprache und hat Freude daran. Mit etwa 9 Monaten beginnt das Kind Sprachmelodien zu imitieren. Erst Worte werden nun verstanden.

13. – 18. Monat

Zu diesem Zeitpunkt äußern Kinder die ersten Wörter. Es sind meist Doppelsilben wie mama, papa, nono., aber auch vereinfachte oder unvollständige Worte können vorkommen wie ato für Auto oder nuni für den Schnuller. Das Kind versteht häufig wiederholte Worte und einfache Fragen und so beginnt es erste Aufforderungen zu befolgen. Der Wortschatz wird immer weiter ausgebaut und die Bedeutung der Worte vom Kind erweitert und variiert. Es benutzt seine Wörter als Frage, Aufforderung oder um Geschehnisse zu kommentieren. Die Kinder verstehen noch keine komplexen Sätze, aber sie entschlüsseln den Inhalt nach Schlüsselworten. Etwa mit 18 Monaten verwendet das Kind bis zu 50 Worten. Es versteht aber bereits deutlich mehr Worte. Bald nachdem der Wortschatz 50 Worte umfasst beginnt der Wortschatzspurt – die rasche Zunahme an neuen Worten.

19. -24. Monat

Bis zum 2. Geburtstag baut das Kind seinen Wortschatz immer schneller aus. Jeden Tag kommen neue Worte hinzu und es beginnt die Worte miteinander zu kombinieren. Der Wortschatz kann jetzt bis zu 500 Worten umfassen. Die ersten Zwei- Wort -Sätze entstehen wie „Mama tomm“ oder „Ball put“. Es beginnt nun auch ständig Fragen zu stellen und Erklärungen zu fordern. Zuerst werden die Fragen durch Betonung angezeigt „Papa?“, dann mit „Is das ?“ und später mit den ersten Frageworten „Wo?“

25. – 30. Monat

Das Lautsystem wird weiter ausgebaut. Auch die Rachenlaute (k,g,r und ch) werden nun von manchen Kindern verwendet. Die Wortschatzexplosion geht weiter und das Kind beginnt mit den Worten kreativ zu arbeiten. Es enstehen Wortkombinationen wie „Baggermann“ und „Autohaus“ (Garage). Der Wortschatz kann jetzt bis zu 680 Worten umfassen. Es entstehen Sätze aus 3 – 4 Worten. Artikel werden eingesetzt. Verben setzt das Kind noch an das Ende des Satzes, meist noch im Infinitiv. „Tom auch Auto fahren!“ Das Kind kann nun auch längere Aufforderungen verstehen und befolgen.  „Gib dem Teddy doch den gelben Teller!“

31.-36. Monat

Der Wortschatz wächst weiter und die Sätze werden länger und grammatisch vollständiger. Die ersten Nebensätze können jetzt auftauchen , indem sie mit ‚und‘ oder ‚dann‘ aneinandergereiht werden. Erst später folgen dann Konstruktionen mit ‚weil‘ oder ‚wenn‘. Die Lautverbindungen (bl, fr, kn, kl, tr usw.) werden vom Kind in manchen Worten schon beherrscht. Das Kind arbeitet stetig am Ausbau des Lautsystems. Erneut tauchen vermehrt Fragen auf, diesmal aber mit den Frageworten ‚wie‘ und ‚warum‘. Es versteht nun Zusammenhänge und kann einer Bildergeschichte folgen.

37.-48. Monat – 4. Lebensjahr

Das Kind versteht zusammengesetzte Aufträge und kann sie in korrekter Reihenfolge ausführen. Der Wortschatz des Kindes wächst weiter an. Es bildet lange und immer komplexere Sätze und erwirbt die korrekte Verbstellung in Haupt- und Nebensätzen. Es verwendet Präpositionen und beginnt verschiedene Zeitformen zu verwenden. Erste Pluralmarkierungen werden gesetzt. Das Kind unterhält sich gerne und selbstständig und beginnt Geschichten zu erzählen. Die Kasusmarkierungen werden noch nicht richtig differenziert. Die Lautentwicklung umfasst bis zum 4. Geburtstag alle Laute und Lautverbindungen bis auf die Zischlaute (sch, s, ch,) und ihre Lautverbindungen.

49. – 60. Monat – 5. Lebensjahr und weiter bis zum 6. Lebensjahr

Der Wortschatz wächst weiter und kann bis zum 6. Geburtstag 5000 Wörter umfassen. Hierzu gehören dann auch die Differenzierung zwischen Oberbegriffen und Unterbegriffen, Farbbegriffen, Pronomen und Präpositionen. Die Sätze werden immer länger und komplexer und gleichen immer mehr denen eines Erwachsenen. Das Kind erzählt schon ganze Geschichten, bei denen die Reihenfolge von der Wichtigkeit bestimmt wird. So erfordern die Erzählungen noch Rückfragen der Eltern. Der Plural wird nun meist korrekt gebildet. Passivsätze, verneinte Sätze und Fragesätze weisen immer seltener Fehler auf. Ab dem fünften Lebensjahr werden die Zischlaute von den meisten Kindern korrekt gesprochen. Das /s/ wird von einigen Kindern vor dem Zahnwechsel noch zwischen den Zähnen gebildet (interdental), alle anderen Laute sollten mit fünf Jahren korrekt gebildet werden.

Der dargestellte Überblick basiert auf Durchschnittswerten. Die Entwicklung eines Kindes kann je nach Enwicklungsvoraussetzung und Umgebungsbedingungen hiervon abweichen. Sollten Sie unsicher sein oder sich Sorgen um die Sprachentwicklung Ihres Kindes machen, besuchen Sie Ihren Kinderarzt. Er kann Ihr Kind untersuchen und das Gehör testen. Er wird sie bei Bedarf überweisen an einen HNO – Arzt oder Phoniater, um eine Höruntersuchung durchzuführen. Sollte der Kinderarzt Auffälligkeiten in der Sprachenwicklung erkennen, wird er Sie zu einem Logopäden zur genauen Untersuchung der Sprachentwicklung und der Ursachen der Verzögerung weiterleiten. Der Logopäde kann Sie beraten, wie Sie und Ihre Familie das Kind unterstützen können. Der Kinderarzt entscheidet auch, ob Ihr Kind eine logopädische Therapie benötigt. Dies ist abhängig vom Alter des Kindes und dem Stand der Sprachentwicklung. Unbedingt sollten Sie alle Vorsorgeuntersuchungen bei Ihrem Kinderarzt wahrnehmen, um Störungen in der Entwicklung Ihres Kindes frühzeitig erkennen und behandeln zu können.

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